Kurz zusammengefasst: Das weiterhin unter Führung von Arbeitsminister Heil befindliche Arbeitsministerium hat sich einer modernisierten Kontinuität verschrieben, wobei in wichtigen Bereichen rechtliche Klarstellungen erfolgen sollen. Diese dürften für die meisten Arbeitgeber in Deutschland eher entlastende Effekte haben, da mit klaren Regelungen die Komplexität reduziert wird und letztlich zielgenau agiert werden kann. Die sprachlich hervorgehobenen Ausführungen zur Stärkung der kollektiven Arbeitsbeziehungen und zur Mitbestimmung beschränken sich bei genauerem Hinsehen allerdings auf den Versuch, den status quo abzusichern. Mit der Einführung eines Mindestlohns von 12 € / Stunde wird ein zentrales Wahlversprechen der SPD und des neuen Kanzlers Olaf Scholz wie erwartet umgesetzt. Im Übrigen finden sich etliche programmatische Kompromissformeln, deren verbindliche Abarbeitung in Gesetzesform bereits jetzt als eher unwahrscheinlich einzuschätzen ist.
I. Änderungen im Arbeitsrecht
- Arbeitsvertragsrecht
Im klassischen Arbeitsvertragsrecht ändert sich nur wenig. Es gibt Vorhaben im Bereich Arbeitszeit, Homeoffice/Arbeitsplatz, Befristungen und Equal Pay. Dabei wird kaum Neues geschaffen, aber bestehende Regelungen wieder aufgegriffen und klärend verstetigt. Ermöglicht werden sollen "flexible Arbeitsmodelle", um den Wünschen vieler Beschäftigter und Arbeitgeber Rechnung zu tragen; ein konkretes Regelungsvorhaben ist mit diesem Programmsatz jedoch nicht verbunden.
Arbeitszeitrecht: Der im Arbeitszeitgesetz zur Regel erklärte 8-Stunden-Tag gilt weiterhin. Tarifverträge sollen eine flexiblere Gestaltung der Arbeitszeit ermöglichen, auch Vereinbarungen mit einem Betriebsrat sollen hier nur auf tariflicher Grundlage erlaubt sein. Damit ist gemeint, dass die Aufweichung der regelmäßigen Arbeitszeit und der Tageshöchstarbeitszeit (derzeit 10 Stunden) nur für Arbeitgeber nutzbar sein soll, die tarifgebunden sind. Ob tatsächlich Betriebsvereinbarungen nicht tarifgebundener Arbeitgeber gesperrt bleiben werden ist allerdings fraglich. Das gesamt Vorhaben soll einerseits kurzfristig umgesetzt, andererseits aber auch zeitlich befristet werden, und es soll zunächst in sogenannten Experimentierräumen zur Anwendung kommen, um die neuen Arbeitszeitmuster zu erproben. Angesichts der EU-rechtlichen Vorgaben zur Arbeitszeiterfassung, deren Umsetzung den Praktikern viel größere Sorgen bereitet, fällt die erwogene Flexibilisierung bei der täglichen Regel- und Höchstarbeitszeit in tariflichen Modellversuchen eher wenig ins Gewicht.
Auf die Herausforderung der Arbeitszeiterfassung hat der Koalitionsvertrag dann auch keine Antwort: "Die Vertrauensarbeitszeit Erörterungsanspruch über mobiles Arbeiten eingeführt werden. Dabei wird begrifflich unterschieden zwischen Homeoffice und mobilem Arbeiten einerseits und Telearbeit andererseits. Der Arbeitgeber kann dem Wunsch nach mobilem Arbeiten (dies beinhaltet das Home-Office) nur widersprechen, wenn betriebliche Belange entgegenstehen. Diese Widerspruchsschwelle ist mit der Erläuterung versehen, dass die Ablehnung nicht sachfremd oder willkürlich sein darf. Da die Regelung aber tief in die Organisationshoheit des Arbeitgebers eingreift kann man sich bereits jetzt darauf einstellen, dass die Rechtsgrundlage und ihre Anwendung in vielfältiger Form vor Gerichten geklärt werden muss.
Positiv ist zu vermerken, dass das Home-Office aus dem Anwendungsbereich der Arbeitsstätten-VO ausgenommen wird, auch wenn gleichwohl Regelungen zur erforderlichen Ausgestaltung und Ausstattung des Home-Office angekündigt werden. Soweit ergänzend im Sinne eines modernen Name-Droppings "Coworking-Spaces in der ländlichen Region" postuliert werden, ist dies inhaltlich allerdings nicht von einem konkreten Regelungsansatz unterlegt.
soll erhalten bleiben" heißt es hierzu. Welche Maßnahmen konkret ergriffen werden soll zusammen mit den Sozialpartnern geprüft werden. Auch der neuen Bundesregierung gelingt es also nicht, das Gegensatzpaar "Arbeitszeiterfassung" einerseits und "Vertrauensarbeitszeit" andererseits in einem sinnvollen Regelungsansatz zusammenzuführen. Gegenwärtig wird diese Aufgabe von der Rechtsprechung übernommen, wobei sich die Vertrauensarbeitszeit im arbeitsrechtlichen Konfliktfall immer öfter als janusköpfig erweist.
Mobiles Arbeiten: Das SPD-geführte Ministerium für Arbeit und Soziales hatte bereits in der ablaufenden Legislatur Entwürfe vorgelegt, um mobiles Arbeiten zu regeln. Diese in der Großen Koalition nicht verabschiedeten Vorhaben sind jetzt im Koalitionsvertrag der "Ampel" vorgesehen. Mit einem Mobile-Arbeit-Gesetz soll ein
Auch mit dem Programmsatz: "Mobiles Arbeiten soll problemlos europaweit möglich sein" ist keine wirkliche Initiative für einen Abbau bestehender Hemmnisse grenzüberschreitender mobiler Arbeit verbunden. Aus rechtsberatender Sicht genannt seien insoweit die Probleme des Sozialversicherungs- und Steuerrechts, der nationalen Grenzen von Arbeitsschutz und vergleichbaren öffentlich-rechtlich geprägten Arbeitsnormen und das nationalrechtlich ausgestaltete kollektive Arbeitsrecht. Keines dieser Felder kann aus Deutschland im Alleingang bearbeitet werden, so dass hier binnen der kommenden vier Jahre kaum greifbare Ergebnisse zu erwarten sind.
Befristungsrecht: Kettenbefristungen, auch wenn sie wie derzeit vorgeschrieben von einem gerichtlich überprüfbaren Sachgrund gedeckt sind, gelten weithin als problematisch und werden nach den Absprachen der neuen Regierung auf die Gesamtdauer von sechs Jahren beim selben Arbeitgeber begrenzt. Zur Umsetzung ist zu erwarten, dass dies als konkrete Höchstgrenze im TzBfG ausgestaltet wird. Ausnahmen sollen zwar möglich sein, jedoch soll der bislang stets großzügig eröffnete (und für Arbeitgeber der Privatwirtschaft aus wettbewerbsgründen ärgerliche) Spielraum des öffentlichen Dienstes als Befristungs-Arbeitgeber durch Abschaffung der Haushaltsbefristung eingeschränkt werden. Als Absichtserklärung wurde zudem festgehalten, dass sachgrundlose Befristungen bei Arbeitsverhältnissen mit der Bundesrepublik reduziert werden sollen, im Übrigen wird die sachgrundlose Befristung weder in der öffentlichen Verwaltung der Länder noch für die Privatwirtschaft angefasst.
Entgelttransparenzgesetz: Das zur Bekämpfung des gender pay gap eingeführte Entgelttransparenzgesetz hat die erhofften Erfolge aufgrund seiner Konzeption bislang nicht erfüllen können. Auf eine grundsätzlich andere Vorgehensweise konnten sich die Koalitionäre jedoch nicht einigen. Daher wird die Geltendmachung von Ansprüchen nach dem Gesetz künftig durch Einführung einer Prozessstandschaft für Verbänden erleichtert, so dass Arbeitnehmer diese nicht mehr selbst einbringen müssen.
Kirchliches Arbeitsrecht: Ob das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann, soll durch die neue Regierung überprüft werden. Die Kirchen sind dabei einzubeziehen. Verkündungsnahe Tätigkeiten sollen ausgenommen bleiben. Zu erwarten ist, dass sich der durch die Gerichte bereits vorgezeichnete Weg, kirchliche Regelungen mit Einfluss auf das Privatleben verkündungsferner Arbeitnehmer auszuschließen, fortsetzt.
Parallel zur Einführung der 3G-Regel am Arbeitsplatz wurde nun erneut in § 28b Abs. 4 IfSG ein verpflichtendes Homeofficeangebot in das Gesetz aufgenommen. Dieses greift dann "wenn keine zwingenden betrieblichen Gründe entgegenstehen".
Die nachfolgend besprochenen Fragen stellen sich nur dann, wenn entweder Homeoffice aus zwingenden betriebsbedingten Gründen nicht möglich ist, oder wenn der Mitarbeiter das Angebot nicht angenommen hat.
Insbesondere im Hinblick auf mögliche arbeitsrechtliche Folgen bei Nichtbeachtung der 3G-Pflicht durch Arbeitnehmer ist es aus Arbeitgebersicht zwingend erforderlich, zuvor ein Angebot auf Tätigkeit im Homeoffice – wo immer möglich – gemacht zu haben.
- Kollektives Arbeitsrecht
Beim Themenkomplex Betriebsräte und Gewerkschaften ist klar erkennbar, dass der künftige Bundeskanzler als ehemaliger Arbeitsrechtsanwalt, gemeinsam mit dem ihm langjährig vertrauensvoll verbundenen Minister Heil, hier einen Schwerpunkt setzen möchte. Es geht dabei allerdings nicht um eine Erweiterung gewerkschaftlicher Macht oder die Einführung neuer Mitbestimmungsrechte, sondern vielmehr um Fragen des Bestandsschutzes. Arbeitgeber sollen über die nur den Tarifpartnern eröffneten Spielräume dazu motiviert werden, die Tarifbindung beizubehalten oder wieder einzuführen. Ergänzend sollen öffentliche Aufträge nur unter den Bedingungen eines branchenüblichen Tarifvertrags vergeben werden, um Wettbewerbsvorteile nicht tarifgebundener Unternehmen zu verhindern. Eine Einschränkung auf tarifgebundene Unternehmen konnte sich jedoch nicht durchsetzen.
Das im Vergleich anderen Vorhaben nur im Ansatz skizzierte Bestreben, Betriebsausgliederung bei Identität des bisherigen Eigentümers zum Zwecke der Tarifflucht unattraktiv zu machen, indem die Fortgeltung des zuvor geltenden Tarifvertrags normiert werden soll, wird aufgrund der Komplexität des Zusammenspiels der verfassungsrechtlich garantierten Koalitionsfreiheit mit der gerichtlichen Dogmatik zum (EU-rechtlich vorgegebenen) Betriebsübergang und den individuellen Rechten der Beschäftigten kaum umgesetzt werden können.
Betriebsverfassungsrecht: Im Rahmen einer Weiterentwicklung des BetrVG soll die digitale Zusammenarbeit der Betriebsratsmitglieder eine gleichberechtigte Option sein, dies läuft also auf die Verstetigung von § 129 BetrVG hinaus. Die Gremien dürfen selbst entscheiden, ob sie digital zusammenarbeiten wollen, die derzeit noch bestehenden und in ihren Wirkungen eher unklaren Beschränkungen (wie etwa der Präsenzvorrang) einer digitalen Zusammenarbeit im Betriebsrat sollen entfallen. Auch die Wahl zum Betriebsrat soll digital – wenngleich zunächst in einem Modellprojekt zu erproben – ermöglicht werden, selbstverständlich sind dabei die verfassungsmäßigen Grundsätze einer demokratischen Wahl zu achten. Technische Lösungsansätze hierfür gibt es schon lange, die Umsetzung dürfte jedoch auch im Modellversuch für die vielerorts bereit angelaufene Betriebsratswahl im Frühjahr 2022 nicht mehr rechtzeitig erfolgen.
War bislang die Behinderung oder Störung der Tätigkeit des Betriebsrats nur auf Antrag strafbar, so soll diese nun als Offizialdelikt ausgestaltet werden, was bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft von Amts wegen Ermittlungen aufnehmen muss, wenn sie von derartigen Vorkommnissen Kenntnis erhält. Soweit bekannt soll die Vorschrift selbst jedoch weder im Tatbestand noch in den Sanktionsandrohungen selbst verschärft werden.
Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass ein zeitgemäßes Recht für Gewerkschaften auf digitalen Zugang in die Betriebe eingeführt wird. Derzeit ist das rein körperlich (analoge) Zugangsrecht der Gewerkschaften insbesondere in § 2 BetrVG geregelt, diese Vorschrift wird also um digitale Rechte ergänzt werden.
Drittelbeteiligungsgesetz und Mitbestimmungsgesetz: Das deutsche Mitbestimmungsrecht in der Besetzung der Organe von Kapitalgesellschaften ist eine deutsche Besonderheit, die nach den Plänen der Koalition bewahrt und geschützt werden soll. Die Ankündigungen sind sehr konkret und lassen auf eine baldige Umsetzung schließen, zumal man sie eher als Korrektur bestehender gesetzgeberischer Versäumnisse deuten kann:
Im Drittelbeteiligungsgesetz, das die Mitbestimmung bei Gesellschaften mit zwischen 500 – 2000 Mitarbeitern regelt, zählten die Arbeitnehmer einer Tochtergesellschaft nur dann für die Zwecke der Mitbestimmung, wenn ein ausdrücklicher Beherrschungsvertrag abgeschlossen wird. Unternehmerisch wird ein solcher Beherrschungsvertrag jedoch kaum je benötigt, da sich die faktischen Stimmrechtsverhältnisse auch ohne Beherrschungsvertrag durchsetzen und der für steuerliche Zwecke benötigte Organschaftsvertrag die Zurechnung der Arbeitnehmer alleine nicht auslöst. Anders im Mitbestimmungsgesetz, das die Beteiligung am Aufsichtsrat bei Gesellschaften mit mehr als 2000 Mitarbeitern regelt – hier werden die Arbeitnehmer der abhängigen Gesellschaften bei echter faktischer Beherrschung der Obergesellschaft hinzugerechnet und können so das Quorum für die Einrichtung einer Mitbestimmung erreichen. Die nun beabsichtigte Angleichung der Regelungen im DrittelBG zu den Zurechnungsvorschriften im MitbestG würde hier für einen Gleichlauf sorgen.
Ein weiteres Modell der Eingrenzung der Bestimmungen der Unternehmensmitbestimmung soll durch Änderung bei der Verfassung der gemeinschaftsrechtlich geprägten SE-Gesellschaften verhindert werden. Bislang galt, dass eine deutsche Kapitalgesellschaft bei Umwandlung zur SE ihre mitbestimmungsrechtliche Verfassung bewahrt, auch wenn sie später weitere Arbeitnehmer anstellt oder solche ihr zugerechnet werden, so dass die Schwellenwerte von 500 oder 2000 Mitarbeitern überschritten würden, der sogenannte Einfrier-Effekt. Eine Änderung dieser Regelung dahingehend, dass die künftige Entwicklung der Mitarbeiteranzahl auch die Regelung der Unternehmensmitbestimmung auslösen soll, ist auch in der Vergangenheit schon diskutiert worden, konnte bislang jedoch keine Mehrheiten finden. Die Änderung würde aktuell ca. 620 SE-Gesellschaften betreffen, wobei sich allerdings schwierige Fragen des Vertrauensschutzes und zumindest anwendbarer Übergangsfristen anschließen würden.
- Beschäftigung und Digitale Plattformen?
Zur Beschäftigung von Arbeitnehmern und Selbständigen mittels sog. Digitaler Plattformen, auf denen je nach Ausgestaltung Aufträge oder Arbeitsangebote zum Abruf bereitgestellt werden, nimmt der Koalitionsvertrag eine positive Bewertung vor und erkennt diese als Bereicherung für die Arbeitswelt an. Ein konkreter Regulierungsbedarf wird nicht gesehen, stattdessen soll die Geltung der allgemeinen arbeitsrechtlichen Bestimmungen bei Vorliegen der Voraussetzungen eingefordert werden, um gute und faire Arbeitsbedingungen zu gewährleisten.
Zunächst sollen im Dialog mit Plattformanbietern die Datengrundlagen für ein besseres Verständnis der Vorgänge auf den Plattformen geschaffen werden. Die Initiative der EU-Kommission zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf Plattformen soll konstruktiv begleitet werden.
- Mindestlohn: 12 € pro Stunde
Zentrales Wahlversprechen maßgeblicher Teile der neuen Regierung war es, den gesetzlichen Mindestlohn von aktuell 9,60 € pro Stunde (Januar 2022: 9,82 €) auf 12 € pro Stunde anzuheben. Vorgesehen ist eine einmalige gesetzliche Regelung, im Anschluss soll die Mindestlohn-Kommission wieder für weitere Erhöhungen zuständig sein.
Ab wann der neue Mindestlohn gelten soll ist nicht im Koalitionsvertrag festgehalten, politisch angekündigt war die Erhöhung des Mindestlohns durch den kommenden Bundeskanzler Scholz mit dem Zeitpunkt seiner Übernahme der Regierungsgeschäfte. Mit dem erhöhten Stundenlohn ist daher sicherlich kurzfristig zu rechnen.
- Geringfügige Beschäftigung
Der Bestand der Mini-Jobs bzw. geringfügigen Beschäftigung stand in den Koalitionsverhandlungen nicht zur Diskussion, wohl aber die künftigen Entgeltgrenzen. Zukünftig wird sich die Grenze für einen Mini-Job am Mindestlohn für eine Wochenarbeitszeit von 10 Stunden ausrichten, der aufgerundete Betrag soll daher bei 520 € festgelegt werden. Verdient der Beschäftigte mehr als den Mindestlohn ergibt sich entweder eine geringere Stundenzahl pro Woche oder die Tätigkeit rutscht in den sogenannten Übergangsbereich (früher einmal als Gleitzone bekannt).
Absicht der neuen Regierung ist es auch, Arbeitgeber bei Mini-Jobs daran zu erinnern, dass es sich um im wesentlichen vollwertige Arbeitsverhältnisse handelt, so dass insbesondere ein Anspruch auf Urlaub, Entgeltfortzahlung bei Krankheit und Kündigungsschutz besteht, dies werde in Zukunft stärker kontrolliert.
Der Grenzwert für den Übergangsbereich soll von derzeit 1.300 € auf 1.600 € erhöht werden. Das bedeutet für den Arbeitnehmer eine ermäßigte Sozialabgabe. Für Arbeitgeber ändert sich hierbei praktisch nichts, viele Teilzeitbeschäftigte werden den Vorteil jedoch in einer sofortigen Netto-Lohnerhöhung bemerken. Wie bei jeder Ermäßigung stellt sich beim Übergang der ermäßigten Abgabenzone zur vollständig beitragspflichtigen Vergütung die Frage der Anreizwirkung im gleichen Umfang wie zuvor bei der Grenze von 1.300 €.
II. Vorhaben in angrenzenden Bereichen
- EU-Whistleblower-Richtlinie
Die EU-Whistleblower-Richtlinie ist von Deutschland bislang nicht umgesetzt worden. Frist zur Umsetzung ist der 17.12.2021, und es ist absehbar, dass in der verbleibenden Zeit keine Regelung zustande kommt. Damit könnten einzelne Aspekte der Richtlinie unmittelbare Relevanz in Deutschland erlangen: zentrale Regelung ist, dass Hinweisgeber in Unternehmen geschützt werden sollen, wenn sie entweder Verstöße gegen EU-Recht aufdecken oder erhebliche Verstößen gegen deutsche Vorschriften oder sonstiges erhebliches Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt, anzeigen. Mangels einer gesetzlichen Umsetzung könnten sich Whistleblower, die aus der fehlenden Umsetzung einen Schaden erleiden, mit Ersatzansprüchen an den deutschen Staat wenden.
Die neue Regierung plant daher eine im Wesentlichen schnelle und richtlinientreue Umsetzung der Regelungen. Sie wird auf Entwürfe der Vorgängerregierung zurückgreifen, deren sog. Hinweisgeberschutz-Gesetz zum Ende der Legislatur nicht mehr beraten werden konnte. Überraschungen sind insoweit nicht zu erwarten.
- Entsendung und Ensende-RL
Das Thema der rechtlichen Gestaltung grenzüberschreitender Dienstleistungen und Werkverträge unter Mithilfe eigener Arbeitnehmer gehen die Ampel-Parteien im Koalitionsvertrag sowohl mit Blick auf die entsandten Arbeitnehmer als auch hinsichtlich der europäischen Zusammenarbeit an. Bei den nach Deutschland entsandten Arbeitnehmern soll der Sozialschutz in einer nicht näher erläuterten Weise verbessert werden, bei Saisonarbeitnehmern (die streng genommen nicht entsandt sind) soll ab dem ersten Tag der Tätigkeit der arbeitsörtliche (deutsche) Krankenversicherungsschutz gelten. Wie die Regelungen der Entsendung in Europa weiter entwickelt werden sollen bleibt unklar, der Koalitionsvertrag spricht von besserer Information über die Unterschiedlichen Arbeits- und Sozialsysteme, der besseren Durchsetzung und Kontrolle und gleichzeitig einer bürokratiearmen Umsetzung des deutschen Ausführungsgesetzes zur Entsenderichtlinie. Auch in anderen EU-Ländern möchte die Koalition die richtlinienkonforme Umsetzung der Entsenderichtlinie sicherstellen, jenseits ihrer bestehenden Kompetenzen.
- Werkverträge und Arbeitnehmerüberlassung
AÜG: Ausdrücklich hält der Koalitionsvertrag fest, dass Arbeitnehmerüberlassung und Werkverträge notwendige Instrumente seien, verspricht im Folgesatz allerdings die effektive Rechtsdurchsetzung bei Verstößen gegen Arbeitsrecht und Arbeitsschutz. Damit wird die Bandbreite der Einstellungen der Koalition gegenüber insbesondere der Arbeitnehmerüberlassung trefflich abgebildet. Konkrete Ansagen über künftige Gestaltungen folgen nicht, insofern ist auch daran zu erinnern, dass bereits die vorletzte Regierung 2017 eine Neuregelung des AÜG erlassen hatte, die die Handschrift des Regierungspartners SPD trug und insofern auch heute noch genügt.
Richtigerweise weisen die Autoren des Koalitionsvertrags darauf hin, dass absehbar durch den Europäischen Gerichtshof weitere Vorgaben für das bestehende deutschen AÜG zu erwarten sind. Es macht daher Sinn, etwaige Pläne zur Fortentwicklung von Arbeitnehmerüberlassung und auch Werkverträgen erst in Kenntnis der anstehenden Entscheidungen zu planen.
- Rentenversicherung und betriebliche Altersvorsorge
Im Bereich der sozialen Sicherungssysteme ist in Deutschland die Altersversorgung grundsätzlich als ein System mit den drei Säulen der gesetzlichen Rentenversicherung, betrieblichen Altersversorgung und privaten Altersvorsorge ausgestaltet. Die neue Regierung plant an allen drei Säulen Regelungen vorzunehmen, um ein als ausreichend angesehenes Einkommen im Alter zu ermöglichen.
In der gesetzlichen Rente wird ein Mindestrentenniveau von 48 Prozent dauerhaft versprochen, beschränkt auf die Legislaturperiode bis 2025 soll der Beitragssatz der Rente nicht über 20 % ansteigen. Rentenkürzungen und die Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters werden ausgeschlossen. Die geplante teilweise Kapitaldeckung auch in der gesetzlichen Rentenversicherung soll als dauerhafter Fonds ausgestaltet sein, der von einer unabhängigen öffentlich-rechtlichen Stelle professionell verwaltet und global anlegen wird. Der Fonds wird mit einer Anschubfinanzierung von 10 Mrd. € ausgestattet. Da SPD und Grüne eine öffentlich-rechtliche Verwaltung des Fonds für notwendig erachten, die FDP jedoch auf die Unabhängigkeit der Verwaltungsstelle wert legt, ist hier ein weiterer Formelkompromiss in Form der Addition zu erkennen. Dieser lässt noch keine Aufschlüsse über die kommende Ausgestaltung und Regelungsbefugnis der Verwaltungsstelle zu. Bekannt ist, dass die Vorstellungen der Parteien hier weit auseinanderliegen.
In der betrieblichen Altersversorgung knüpft der Koalitionsvertrag hingegen an die Arbeit der Vorgängerregierung an. Die betriebliche Altersversorgung (BetrAVG) war zuletzt 2017 durch das Betriebsrentenstärkungs-Gesetz sehr weitreichend ergänzt worden. Unter anderem war mit dem Sozialpartnermodell das von Garantieleistungen weitgehend freigehaltene Modell der reinen Beitragszusage eingeführt worden. Die Sozialpartner konnten bislang jedoch keinen Durchbruch bei der Vereinbarung derartiger Modelle erzielen, für nicht tarifgebundene Arbeitgeber besteht in der derzeitigen Ausgestaltung keine Möglichkeit, ein Sozialpartnermodell zur Vereinbarung reiner Beitragszusagen aufzustellen. Ohne vom Sozialpartnermodell abzuweichen soll die Erlaubnis von Anlagemöglichkeiten mit höheren Renditen auch in anderen Durchführungswegen Einzug halten. Details werden hierzu nicht vorgestellt.
Bei der privaten Altersvorsorge, bislang geprägt von Freiwilligkeit (opt-in) und privaten Sparentscheidungen, soll das gesamte System grundlegend reformiert und ein öffentlich verantworteter Fonds mit einem effektiven und kostengünstigen Angebot mit Abwahlmöglichkeit (opt-out) geprüft werden. Details der zukünftigen Ausgestaltung sind hier noch weitgehend unklar. Die unbeliebten aber noch langjährig laufenden Riester-Verträge erhalten Bestandschutz. Der Sparerpauschbetrag soll auf 1.000 Euro erhöht werden.
Selbstständige, die keinem obligatorischen Alterssicherungssystem (wie etwa einem berufsständischen Versorgungswerk) unterliegen, werden zum Aufbau einer Altersvorsorge mit Wahlfreiheit verpflichtet. Dies erfolgt dadurch, dass der Selbstständige in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert wird, sofern nicht im Rahmen eines einfachen und unbürokratischen opt-outs ein privates Vorsorgeprodukt gewählt wird, das bestimmten Kriterien entspricht: es soll insbesondere insolvenz- und pfändungssicher sein und zu einer Absicherung oberhalb des Grundsicherungsniveaus führen. Für Gründer von Unternehmen gilt jeweils eine Karenzzeit von zwei Jahren.
- Aus- und Weiterbildung für Arbeitnehmer, Qualifizierungsgeld
Die Koalition sieht einen Schwerpunkt ihres Programms darin, individuelle Lebensentwürfe zu ermöglichen und auch spätere berufliche Entwicklungen durch Aus- und Weiterbildung zu fördern. Hierzu soll ein sog. Lebenschancen-BAföG eingeführt werden, bei dem Berechtigte in einem Freiraumkonto ein Bildungsguthaben ansparen können, um es für selbstbestimmte Weiterbildung zu verwenden. Mit dem Anspruch auf Bildungsteilzeit soll es ermöglicht werden, einen Berufsabschluss nachzuholen oder sich beruflich sonst weiter zu qualifizieren. Diese Bildungsteilzeit soll weitgehend durch Vertrag zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten ausgestaltet werden. Das Modell ist bereits in Österreich in Kraft und soll in Deutschland entsprechen ausgestaltet werden
Mit einem ans Kurzarbeitergeld angelehnten Qualifizierungsgeld soll die Bundesagentur auch den Arbeitgebern im Strukturwandel ermöglichen, ihre Beschäftigten durch Qualifizierung im Betrieb zu halten und Fachkräfte zu sichern. Voraussetzung dafür sind Betriebsvereinbarungen. Im Einklang mit den Bemühungen um eine Stärkung des gewerkschaftlichen Einflusses sollen Anreize für Transformationstarifverträge gesetzt werden, mit denen dann ebenfalls das Qualifizierungsgeld von der Bundesagentur abgerufen werden kann.
Angesichts bevorstehender Umwälzungen in vielen Branchen ist auch begrüßenswert, dass das Instrument der Transfergesellschaften weiterentwickelt werden soll und der Anspruch auf Transfer-Kurzarbeitergeld ausgeweitet wird.
- Arbeits- und Gesundheitsschutz
Dem Arbeits- und Gesundheitsschutz kam in den vergangenen zwei Jahren der Pandemie eine erhöhte Beachtung zu. Hier ist derzeit vieles Unklar und die weitere Entwicklung, insbesondere im Hinblick auf die in der Diskussion befindlichen Impfpflichten für bestimmte Einrichtungen oder ganze Branchen ist von der Tagespolitik bestimmt.
Programmatisch hat sich die neue Regierung für ein Festhalten an den bewährten Standards entschieden, diese sollen an die sich wandelnde Arbeitswelt und die neuen Herausforderungen angepasst werden. Dabei wird der psychischen Gesundheit verstärkte Aufmerksamkeit eingeräumt, insbesondere soll auch ein Mobbing-Report erarbeitet werden. Vor allem kleine und mittlere Unternehmen sollen bei Prävention und Umsetzung des Arbeitsschutzes besonders unterstützt werden. Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) soll gestärkt werden, Einzelheiten dazu und welche Bedeutung dies im Hinblick auf etwaige Entwicklungen im laufenden Arbeitsverhältnis haben soll, sind dem Koalitionsvertrag nicht zu entnehmen.
Wir hoffen, Ihnen mit diesen Ausführungen einen guten Überblick über die aktuellen Entwicklungen zu geben. Bei Rückfragen zu dem genannten Thema und zu konkreten Auswirkungen und Fragen der Gestaltung können Sie sich jederzeit telefonisch oder per E-Mail an unsere Kollegen in unseren Büros in Berlin, Düsseldorf, München und Köln wenden.