Wählerlisten, aktives und passives Wahlrecht, Rechte besonderer Gruppen von Arbeitnehmern, grobe Mängel des Wahlverfahrens – kommt es zu Fehlern im komplexen Regelwerk der Durchführung der Betriebsratswahlen droht die Anfechtung oder sogar die Nichtigkeit der Wahl, was für den Arbeitgeber eine Wiederholung des gesamten damit verbundenen (Zeit-) Aufwands und eine Verdoppelung der Kosten bedeutet.
Nachfolgend stellen wir im Anschluss an unsere bisherigen Beiträge 1 – 3 auch die Regelungen bei Fehlern in der Durchführung der diesjährigen Betriebsratswahl dar.
1. Fehler bei der Vorbereitung und Durchführung der Wahl: nichtig, anfechtbar oder unbeachtlich?
Nichtigkeit einer Wahl ist zwar selten, hat jedoch erhebliche Rechtsfolgen: sind bei der Betriebsratswahl derartig grobe Fehler und Mängel unterlaufen, dass von einer ordnungsgemäßen Wahl keine Rede sein kann, gilt die Wahl als rechtlich nicht existent, der Betriebsrat besteht dann nicht mehr. Gleiches gilt, wenn die Voraussetzungen für eine Wahl überhaupt nicht gegeben waren. Die Nichtigkeit folgt aus dem Wahlvorgang an sich und wird durch das angerufene Arbeitsgericht nicht erst geschaffen, sondern nur erkannt und festgestellt. Daher ist sie weder an Fristen noch an eine bestimmte Verfahrensform gebunden.
Hingegen gewährt die Möglichkeit der Anfechtung, die bei den meisten Fehlern im Verfahren gegeben ist, lediglich bestimmten Gruppen die Möglichkeit, den Wahlvorgang zu überprüfen und ggf. auch eine Wiederholung der Wahl zu erzwingen, allerdings ohne dass sich dies in der Schwebe- bzw. Zwischenzeit auf das Amt des – ggf. eben auch fehlerhaft gewählten – Betriebsrats auswirkt.
Allerdings hat auch nicht jeder Fehler im Wahlverfahren überhaupt Konsequenzen: in manchen Fällen nimmt das Gesetz Ungenauigkeiten und Fehler einfach hin, insbesondere wenn ersichtlich keine Auswirkung auf das Wahlergebnis besteht. Die Fehler sind dann unbeachtlich und die Wahl bleibt ohne Rechtsmakel wirksam.
2. Berichtigung durch den Wahlvorstand
Der Wahlvorstand als verantwortliches Organ der Wahl kann Fehler bis zum Tage vor dem Beginn der Stimmabgabe berichtigen. Sind Fehler erkannt worden bietet ein entsprechender Berichtigungsbeschluss des Wahlvorstands die einfachste Möglichkeit, diese zu korrigieren. Möglich ist das insbesondere bei Fehlern, die ohne weiteres behoben werden können, etwa Korrektur von Rechenfehlern oder Daten, Schreibfehlern oder überholenden Fakten, wie etwa Hinzukommen eines Wahlberechtigten durch Beginn der Beschäftigung im Betrieb. Eine besondere Form der Berichtigung ist der Beschluss des Wahlvorstands über ordentliche Einsprüche: auch diese Fehlerbehebung erledigt den Fehler und schließt eine spätere Anfechtbarkeit aus. Bei grundlegenden Fehlern muss die Wahlvorbereitung hingegen abgebrochen und das Verfahren insgesamt neu aufgesetzt werden.
3. Nichtigkeit der Wahl
Nichtig ist eine Wahl, die ohne dass es einer gerichtlichen Entscheidung bedarf als rechtlich nicht vorhanden anzusehen ist. Das Gericht kann die Nichtigkeit daher jederzeit feststellen. Sie kommt nur bei groben und – kumulativ – offensichtlichen Verstößen in Betracht, man spricht vom "offensichtlichen Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn der Wahl". Ansonsten ist der gesetzliche Ansatz einen Vertrauensschutz in die Gültigkeit der Wahl zu gewährleisten. Dies entspricht dem gemeinsamen Interesse beider Betriebspartner, da sie darauf bauen können, dass der gewählte Betriebsrat seine Aufgaben wirksam ausüben und Betriebsvereinbarungen verbindlich abschließen kann, sowie dass eine kostenträchtige Neuwahl vermieden wird.
Beispiele aus der Rechtsprechung für die Nichtigkeit einer Wahl sind etwa, dass ein ausländischer Betrieb überhaupt nicht dem BetrVG unterliegt, oder dass ein Betrieb durch Eingliederung in einen anderen bereits untergegangen ist. Auch eine Wahl für einen Betrieb, in dem bereits ein Betriebsrat gewählt wurde, ist nichtig.
Im Hinblick auf die möglichen Besonderheiten der Wahl wegen der andauernden Corona-Pandemie (Fragen der Briefwahl und Wahlversammlungen etc.) dürfte selbst bei mehrfachen Verstößen keine Nichtigkeit anzunehmen sein: Verstöße gegen das Wahlverfahren führen nämlich nur dann zur Nichtigkeit, wenn derartig krass gegen Grundsätze verstoßen wurde, dass der Anschein einer rechtmäßigen Wahl erlischt.
Falls allerdings ausnahmsweise eine Wahl so durchgeführt werden soll, dass sie voraussichtlich nichtig ist, kann der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht, und zwar notfalls sogar im Wege einer einstweiligen Verfügung, durchsetzen, dass die Wahl abzubrechen ist. Bei bloßer Anfechtbarkeit gilt dies hingegen nicht.
4. Anfechtbarkeit der Wahl
Ein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren macht die Wahl anfechtbar, wenn die Möglichkeit einer Beeinflussung des Wahlergebnisses durch diesen Verstoß besteht.
Als Vorschriften über das Wahlrecht gelten die Bestimmungen, die sich auf die Wahlberechtigung beziehen, also etwa die Zulassung nicht wahlberechtigter Personen.
Die Wählbarkeit ist nicht beachtet, wenn jemand gewählt wird, der nicht wählbar ist, also entweder überhaupt noch nicht wahlberechtigt ist oder noch nicht sechs Monate dem Betrieb oder Unternehmen angehört.
Sowohl auf das Wahlrecht als auf die Wählbarkeit wirkt sich aus, wenn die Mitgliederzahl und Zusammensetzung des Betriebsrats fehlerhaft bestimmt werden.
Eine Besonderheit gilt in diesem Zusammenhang für die Wählerliste: Da die Eintragung in die Wählerliste formelle Voraussetzung für die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts ist, können Verstöße gegen das Wahlrecht und die Wählbarkeit gegeben sein, wenn der Wahlvorstand die Wählerliste nicht richtig aufgestellt hat. Ein Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste kann aber nur innerhalb von zwei Wochen seit Erlass des Wahlausschreibens beim Wahlvorstand eingelegt werden; der vorherige Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste ist also neuerdings Voraussetzung für die Anfechtung durch die Wahlberechtigten. Arbeitgeber oder eine Gewerkschaft können die Wahl auch ohne vorherigen Einspruch anfechten.
Was schließlich den Anfechtungsgrund für einen Verstoß gegen das Wahlverfahren angeht ist die Rechtssprechung ausufernd groß, es lassen sich hier nur einige Fallgruppen nennen:
- Verkennung des Betriebsbegriffs oder fehlerhafte Bestimmung der Zahl der Betriebsratsmitglieder
- Finanzielle und sonstige Unterstützung einer Kandidatengruppe durch den Arbeitgeber
- Fehlerhafte Bestellung des Wahlvorstands
- Falsche Behandlung von Wahlvorschlägen, etwa die Ergänzung der Wahlvorschläge nach Fristablauf, die Streichung von Kandidaten ohne Einverständnis aller Unterzeichner; Nichtzulassung von ordnungsgemäßen Wahlvorschlägen
- Gestaltung des Stimmzettels entgegen der Wahlordnung
- Verletzung der geheimen Wahl, etwa durch unterschiedliche Gestaltung der Stimmzettel oder Mangel an geeigneten Vorkehrungen für die unbeobachtete Stimmabgabe
- Verstoß gegen die Vorschriften der Stimmauszählung, die in der Wahlordnung aus gutem Grund detailliert geregelt ist. Insbesondere angesichts der zu erwartenden Menge an Briefwählern relevant: vor Schluss der Stimmabgabe müssen in öffentlicher Sitzung die Freiumschläge geöffnet werden
- Mängel des Wahlausschreibens, etwa dessen nicht ordnungsgemäße Bekanntgabe, fehlende oder falsche Angabe des Orts der Wahllokale, falsche Angabe der auf das Geschlecht in der Minderheit entfallenen Anzahl von Sitzen. Wichtig in Pandemiezeiten: Sind viele Mitarbeiter (wegen Kurzarbeit oder Homeoffice) nicht im Betrieb, muss das Wahlausschreiben auch auf anderem Wege bekannt gemacht werden (E-Mail, Intranet, Postweg). Alle Beschäftigten müssen Kenntnis von dem Wahlausschreiben erhalten können (vgl. dazu auch Teil 3 unserer Reihe: Die Betriebsratswahl 2022).
- Zulassung der Briefwahl ohne vorliegen der Voraussetzungen: es liegt auch in der Pandemie nicht im Ermessen des Wahlvorstandes, die Briefwahl generell zuzulassen, weil die geheime Wahl nicht kontrollierbar ist. Die Zulassung aufgrund der Umstände im Einzelfall gemäß der Wahlordnung begegnet keinen Bedenken, und Verweigerung der Briefwahl ist für sich ein Anfechtungsgrund
- Mißachtung der Freiheit der Wahl und der Chancengleichheit der Wahlbewerber
- Verteilung der Betriebsratssitze unter den Geschlechtern ohne Berücksichtigung des Mindestquorums
5. Anfechtbarkeit nur, wenn der Verstoß das Wahlergebnis beeinflussen konnte
Trotz des Verstoßes gegen eine wesentliche Wahlvorschrift ist die Wahl nicht anfechtbar, wenn bei hypothetischer Betrachtungsweise dasselbe Ergebnis ohne den Verstoß gewählt worden wäre. Die verfahrensfehlerhafte Wahl muss nur dann nicht wiederholt werden, da kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre. Ob die Beeinflussung absichtlich oder versehentlich erfolgt ist spielt hingegen keine Rolle; liegt ein möglicherweise verändertes Wahlergebnis aufgrund des Fehlers vor, so ist die Wahl zu wiederholen.
Die Betriebsratswahl wird beim Arbeitsgericht in einem besonderen Beschlussverfahren angefochten, hierfür gilt eine Ausschlussfrist von zwei Wochen ab dem Tag der Bekanntgabe des Wahlergebnisses. Eine vorherige Information des Betriebsrats oder Wahlvorstands ist nicht notwendig.
Neu ist, wie bereits erwähnt, dass die Anfechtung durch die Wahlberechtigten wegen Fehlern in der Wählerliste ausgeschlossen ist, sofern nicht zuvor Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste eingelegt wurde. Eine Anfechtung durch den Arbeitgeber ist zudem ausgeschlossen, soweit sie darauf gestützt wird, dass die Wählerliste unrichtig ist und diese Unrichtigkeit auf seinen Angaben beruht.Ein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren macht die Wahl anfechtbar, wenn die Möglichkeit einer Beeinflussung des Wahlergebnisses durch diesen Verstoß besteht.
6. Wirkung und Verfahren der Anfechtung
Die Wirkung der Anfechtung ist eingeschränkt, wenn sich der Mangel sich nur auf die Wahl eines Betriebsratsmitglieds bezieht: Es wird dann nur die Wahl dieses einen Mitglieds für unwirksam erklärt, der Rest des Betriebsrats bleibt im Amt. Bei Verhältniswahl rückt der nächste auf der Vorschlagsliste aufgeführte Kandidat, bei Mehrheitswahl der Kandidat mit der nächsthöchsten Stimmenzahl nach.
Ist die Wahl insgesamt angefochten, so wird durch die Anfechtung wird zwar der fehlerhaft gewählte Betriebsrat nicht rückwirkend aufgehoben, aber er verliert das Amt für die Zukunft ab Rechtskraft des Beschlusses. Der Betrieb ist betriebsratslos. Aufgaben und Befugnisse enden damit und bleiben nicht noch bis zur Neuwahl bestehen. Für die Betriebsratsmitglieder ändert sich für die Vergangenheit nichts; vor allem bleibt für sie während dieser Zeit der besondere Kündigungsschutz bestehen.
Was sind die nächsten Schritte nach einer erfolgreichen Wahl? Wie sollen Arbeitgeber und Betriebsrat ihre künftige Zusammenarbeit sinnvoll und für beide Seiten nutzbringend gestalten? Dies erläutern wir im fünften Teil unserer Reihe.
Sollten Sie Fragen zur Betriebsratswahl haben, stehen Ihnen unsere Kolleginnen und Kollegen in unseren Büros in Berlin, Düsseldorf, Köln und München jederzeit gerne telefonisch oder per E-Mail zur Verfügung.