Geteiltes Leid ist halbes Leid – oder?
Im Fall verurteilte das Landgericht Chemnitz die beklagte Mieterin zur Zahlung der Gewerbemiete für den Monat April 2020, nachdem diese den Betrag wegen der Schließungsanordnung dem Vermieter vorenthalten hatte. Die Schließung berechtige nicht zu einer Mietminderung gem. § 536 Abs. 1 BGB, denn sie stehe nicht unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, Zustand oder Lage des Mietobjekts in Zusammenhang. Darüber hinaus sei die Beklagte auch nicht gem. § 326 Abs. 1 BGB von der Entrichtung der Miete befreit, weil die Gebrauchsüberlassung nicht i.S.d. § 275 BGB unmöglich geworden sei.
Im Rahmen der Berufung versuchte sich das OLG Dresden wenigstens an Kompromissbereitschaft. Es verurteilte die Beklagte unter teilweiser Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung nur zur Hälfte, denn die COVID-19-Pandemie und die daraus resutlierende über einem Monat lang andauernder staatlich reguliert Schließung stelle eine Störung der Geschäftsgrundlage des Mietvertrags i.S.d. § 313 Abs. 1 BGB dar. Fifty-Fifty klingt erstmal gut, Mieter und Vermieter können beide nichts für die Situation. Fair? Findet der BGH nicht und schickt die Sache wieder zurück an das OLG Dresden.
Sich den ablehnenden Ausführungen zu § 536 Abs. 1 BGB und § 275 BGB der Instanzen anschließend, komme eine Anpassung der gewerblichen Miete gem. § 313 Abs. 1 BGB in der vorliegenden Situation laut BGH zwar grundsätzlich in Betracht. Eine sogennnante große Geschäftsgrundlage sei durch die Schließung schwer betroffen, also die Erwartung der Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde. Die Beklagte konnte immerhin - wie so viele Betreiber - ihr Geschäft knapp einen Monat nicht führen. Das mag wohl ein jeder als schwerwiegende veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingung empfinden. Bestätigt fühlt sich der BGH in seiner Argumentation auch von Art. 240 § 7 EGBGB, eine der vertragsrechtlichen Regelungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie. Die Norm statuiert eine Vermutung dafür, dass eine Veränderung i.S.d. § 313 Abs. 1 BGB vorliege, wenn gewerbliche Mietobjekte infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur teilweise nutzbar sind.
Für eine Berechtigung zur Vertragsanpassung müsse jedoch das Unzumutbarkeitskriterium des § 313 Abs. 1 BGB beachtet und eine normative Einzelfallbetrachtung angestellt werden. Insoweit erkennt der BGH jedenfalls an, dass die Nachteile resultierend aus den in unserer jüngsten Geschichte bis jetzt ungesehenen staatlichen Regulierungen des Einzelhandels über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Gewerbemieters hinausgehen. Stattdessen habe sich durch die COVID-19-Pandemie ein allgemeines Lebensrisiko auf das Vertragsverhältnis ausgewirkt, welches weder einer der Vertragsparteien aufgebürdet werden könne noch einfach pauschal halbierbar sei.
Angezeigt sei vielmehr eine umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen seien, wie es § 313 Abs. 1 BGB ausdrücklich vorgibt.
Zu fragen ist also, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer konkret entstanden sind, besipielsweise ob ein tatsächlicher Umsatzrückgang verzeichnet werden konnte und in welchem Ausmaß. Hätte der Mieter einen solchen sogar vermindern können? Nachvollziehbar ist auch, dass finanzielle staatliche Unterstützungen oder aus Versicherungen zu Gunsten des Mieters im Rahmen der Abwägung eine Rolle spielen soll.
Für gewerbliche Mieter und Vermieter bedeutet die Entscheidung, dass von nun an genau dargelegt werden muss, auf welche Faktoren man sich hinsichtlich einer coronabedingten Anpassung der Miethöhe im Rahmen des § 313 Abs. 1 BGB beziehen will und wie man diese bewertet. Dies mag in praxi stellenweise kniffig werden. Gleichwohl begrüßen wir die differenzierende Entscheidung des BGH und freuen uns auf einen hoffentlich wirklich fairen Interessenausgleich in einer Vielzhal von Fällen. Aus dogmatischer Sicht ist richtigerweise eine Einzelfallbetrachtung und normative Abwägung angezeigt.
Nichts anderes fordert § 313 Abs. 1 BGB. Sowohl gewerbliche Mieter als auch Vermieter sind gleichermaßen von staatlichen Maßnahmen betroffen und in ihren wirtschaftlichen Interessen zurückgestellt, sodass eine Überkompensierung des einen mit öffentlich finanzierter Unterstützung und auf Kosten des anderen Teils wohl kaum gerechtfertigt ist. Positiv sticht bei der Entscheidung weiter heraus, dass der BGH den Geschäftsbetreibern eine Art der Verlustminderungspflicht zuspricht. Damit findet Anerkennung, dass trotz allem viele Betreiber Geschäftstüchtigkeit gezeigt haben und durch spontane und oft auch verrückte Ideen, ihren Betrieb aufrechterhalten konnten. Zuletzt gibt der BGH schlichtweg die Intuition vieler Leser des Urteils wieder. Soweit von der Bevölkerung in der andauernden Coronakrise nachhaltig Solidarität gefordert wird, sollte dies – unserer Meinung nach – selbstveständlich auch im geschäftlichen Bereich gelten.