Die Entscheidung hat schon lange auf sich warten lassen. Bereits vor zehn Jahren, im Jahr 2012, versuchte die Europäische Kommission vergeblich, eine Frauenquoten zu etablieren. Damals stellte sich vor allem Deutschland der entsprechenden Gesetzgebung in den Weg, absurderweise damals unter der Führung unserer ersten Bundeskanzlerin, Angela Merkel. Kommissionschefin Ursula von der Leyen nutzte sichtlich die Gelegenheit des jüngsten Regierungswechsels und setzte das Thema zurück auf die Tagesordnung der EU. Auch Frankreich unterstützte die Initiative.
Deutschland, der frühere europäische Spitzenreiter in Sachen Gender Pay Gap, liegt mit 19,2 % aktuell im unteren Mittelfeld, aber immer noch unter dem europäischen Durchschnitt. Und das, obwohl Frauen hierzulande, wie in vielen anderen europäischen Ländern, im Durchschnitt besser ausgebildet sind als ihre männlichen Kollegen. [Es sei an dieser Stelle jedoch darauf hingewiesen, dass viele der Meinung sind, dass das ungleiche Lohniveau auf andere Faktoren als eine strukturelle Ungleichberechtigung zurückzuführen ist, z. B. auf eine schlechtere Leistung von Frauen bei Gehaltsverhandlungen im Vergleich zu Männern.]
Dennoch sieht sich Deutschland auch nach der Initiative der EU nicht unter erhöhtem Handlungsdruck. Denn das Zweite Führungspositionengesetz (FüPoG II), das auf das Erste Führungspositionengesetz (FüPoG) von 2015 folgte, verschärft seit August 2021 die Anforderungen an das Verhältnis von Männern und Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten deutscher Unternehmen. Jedes Quartal vermeldet die Bundesregierung stolz den Erfolg dieser Gesetze, obwohl sie im europäischen Vergleich eher schlecht dastehen. Seit 2015 ist der Frauenanteil in den Aufsichtsräten von börsennotierten und mitbestimmten Unternehmen, die eine feste Frauenquote von 30 % erfüllen müssen, um 13,3 % auf 35,2 % gestiegen. Allerdings handelt es sich dabei nur um wenige Unternehmen in Deutschland. Für die zahlreicheren börsennotierten oder mitbestimmten Unternehmen war die Quote zunächst freiwillig. Sie waren lediglich verpflichtet, sich Ziele für die Erhöhung der Frauenquote in den oberen Führungsebenen zu setzen. Es stand ihnen sogar frei, eine Nullquote festzulegen. Und wer hätte es gedacht, die 30%-Hürde wurde natürlich nicht freiwillig erreicht. Der Frauenanteil in den Aufsichtsräten dieser Unternehmen liegt bei 14,4 %, in den Vorständen bei mageren 7,8 %, in der ersten und zweiten Führungsebene unterhalb des Vorstands bei 14,3 % bzw. 18,5 %. Ein kulturelles Umdenken allein durch rein inspirierende Quotenregelungen herbeizuführen, war wohl doch zu verlangt. Mit dem FüPoG II, ist es neuerdings zwar immer noch möglich, ein Null-Ziel festzulegen, aber dieses muss nun zumindest klar begründet werden.
Während sich die nationale Politik auf dem besten Weg sieht, das deutsche Grundgesetz zu verwirklichen, das in Art. 3 die Gleichberechtigung von Mann und Frau festschreibt, stellt sich eine Frage. Ist ein solcher Ansatz überhaupt sinnvoll?
Rein pragmatisch betrachtet führen Pflichtquoten zu Ergebnissen, wie man im Fall von den verpflichteten Unternehmen sehen kann. Der Grund für das historische Missverhältnis zwischen Männern und Frauen in Führungsgremien soll darin liegen, dass Männer, die die Führungsregie unzweifelhaft dominieren, es wohl vorziehen, ihresgleichen einzustellen. Jetzt können sie das nicht mehr. Weiterhin werden Frauen mittels Pflichtquoten kompromisslos aus ihrer traditionellen Rolle als das "schwache Geschlecht", das für Führungsaufgaben ungeeignet sein soll, emporgehoben (sozusagen ein Durchbrechen der allseits bekannten "gläsernen Decke": Eine soziale Barriere, an der Frauen trotz hoher Qualifikation oft scheitern, wenn sie ins obere Management aufsteigen wollen, während dies männlichen Kollegen mit vergleichbarer Qualifikation meist gelingt).
Außerdem könnte man zu der Überzeugung gelangen, dass Frauenquoten Unternehmen dazu zwingen, wirtschaftlich zu wachsen. Frauen sollen neue Perspektiven und Fähigkeiten mitbringen. Eine gesunde Mischung aus stereotyper männlicher Aggressivität und weiblicher Sensibilität soll ein wahres Wunderwerk der Zusammenarbeit in den Führungsetagen hervorbringen. Mehr Gewinn, mehr Disziplin bei den Mitarbeitern, mehr Zufriedenheit und Vertrauen bei den Aktionären. Für das Image eines Unternehmens sind ein paar Frauen auf den Pressefotos schließlich auch nicht verkehrt, da Diversity-Themen in der Geschäftswelt glücklicherweise immer wichtiger werden.
Dies überzeugt jedoch nicht alle. Einige sind der Meinung, dass die politische Zielrichtung, Frauen gegenüber Männern bevorzugen wolle. Diskriminierung von Männern zugunsten von Frauen sozusagen. Besonders interessant ist an dieser Stelle die Frage, wie sich Frauenquoten und das AGG vereinbaren lassen. Nach diesem Gesetz dürfen Unternehmen Mitarbeiter und Bewerber nicht aufgrund des Geschlechts diskriminieren. Auch Organmitglieder können sich hierauf berufen, wenn ihnen der Zugang zur Beschäftigung oder ihr berufliches Fortkommen beeinträchtigt wird. Eine Stellenanzeige, die sich speziell an Frauen richtet? Da wird sich so manchem deutschen Arbeitsrechtler der Magen umdrehen (aber nach dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung und der Positivität der Maßnahme ist ein solches unternehmerisches Handeln scheinbar gerechtfertigt).
Umstrukturierungen zugunsten von Frauen waren in der Vergangenheit auch nicht immer erfolgreich. Es exitieren Berichte über Führungsgremien, die nach dem Einsatz weiblicher Mitglieder wider Erwarten weniger effizient waren, was angeblich auf eine gewisse Risikoscheu der Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen zurückzuführen ist. Ungeachtet der Einschränkung der verfassungsmäßigen Rechte und unternehmerischen Freiheiten der Unternehmen selbst spricht aus Sicht der Aktionäre die Beschneidung von Aktionärsrechten weiterhin gegen obligatorische Frauenquoten.
Das wohl überzeugendste Gegenargument ist, dass die fachlichen Kompetenzen eines Bewerbers bei der Besetzung einer Stelle allein ausschlaggebend sein sollten und nicht das Geschlecht. Parallel dazu bemängeln Kritiker, dass starre Quoten die Ursachen für geschlechtsspezifische Ungleichheiten keineswegs beseitigen. Stichwort hier ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Zumindest statistisch gesehen kann es nicht an der mangelnden Qualifikation von Frauen liegen, dass es nur wenige an die Spitze schaffen. Tatsache ist, dass sich Mütter nach wie vor häufiger um ihre Kinder kümmern als Väter, auch wenn beide Elternteile arbeiten. Haus, Hund, Kinder und eine Vollzeit-Führungsposition klingt für viele immer noch unrealistisch, auch wenn ein paar glänzende Berichte von Boss Women der Wirtschaft das Gegenteil darstellen. Und daran ändern in der Tat auch Quoten nichts.
Dies ist sicherlich nur ein knapper Aufriss der zahlreichen Pro- und Contra-Argumente, die im Zusammenhang mit dem Thema diskutiert werden. Ob die Vorteile einer Frauenquote für einen persönlich die Nachteile überwiegen, ändert nichts an der Tatsache, dass sich Unternehmen mit Sitz in Europa wohl bald mit der Pflichtübung auseinandersetzen müssen. Das könnte für Länder, die in der Vergangenheit eher auf Anreizpolitik zur Frauenförderung gesetzt haben (z.B. Spanien), lästig sein, aber ebenso Bestätigung für jene, die schon viel früher (sehr erfolgreich, z.B. Norwegen) verbindliche Quotenregelungen eingeführt haben. Meiner Meinung nach ist es in jedem Fall positiv, dass die EU erkannt hat, dass wir an einem Strang ziehen müssen, um das Problem der strukturellen Geschlechterungleichheit nachhaltig zu lösen. Vielleicht ist dies der Beginn eines echten Wandels.